Behinderung und Krankheit sind nach wie vor Tabuthemen. Theresa Knaflitsch (23) und Ena Friss (27) sind beide nicht nur selbst betroffen, sondern wollen mit der Fotoausstellung „Unsichtbar“ auch wachrütteln. Wir haben die zwei zum Interview gebeten.
Cool: An welchen Behinderungen beziehungsweise Krankheiten leidet ihr?
Theresa: Ich bin seit meinem vierten Lebensjahr querschnittsgelähmt, durch ein spontanes Hämatom am Rückenmark. Mit 13 Jahren hatte ich dann auch noch eine Skoliose-OP an der Wirbelsäule, bei der jedoch Komplikationen aufgetreten sind. Seitdem habe ich eine noch höhere Lähmung und kann auch meine Finger und Hände nicht mehr bewegen, sondern nur meine Arme.
Ena: Bei mir ist es ein bisschen anders, denn ich war bis 12 komplett gesund. Dann habe ich eine chronische Dickdarmentzündung bekommen, namens Colitis Ulcerosa (Anmerk. d. Red.: hier findet ihr dazu bereits ein Tabulos-Interview). Die Krankheit ist bei mir extrem ausgebrochen, wodurch ich ganz viele Folgeerkrankungen bekommen habe. Mit 20 wurde dann noch ein Karzinom in meinem Dickdarm festgestellt und ein großer Teil meines Dickdarms entfernt. Seither habe ich einen künstlichen Seitenausgang. Heuer wurde dann wieder ein Karzinom entdeckt, deshalb bekam ich zuerst Chemotherapie und vor einem Monat wurde mir das letzte Stück Dickdarm entfernt.
Cool: Das ist interessant, weil du ein gesundes Leben vor der Erkrankung hattest, während sich Theresa an die Zeit ohne Rollstuhl vermutlich nicht mehr erinnern kann oder?
Ena: Das Arge ist, dass ich mich ehrlicherweise auch nicht mehr daran erinnern kann. Ich habe in den vergangenen 15 Jahren so viel mit der Krankheit durchlebt – sie hat sich so in mein Hirn gebrannt –, dass ich es mir ohne gar nicht mehr vorstellen kann.
Theresa: Also der Rollstuhl ist für mich normal. Da ich aber bis 13 meine Finger und Hände bewegen konnte, war ich damals noch sehr viel selbstständiger als jetzt. Das war anfangs schon eine Umstellung für mich, aber heute denke ich daran kaum noch zurück.
Ena: Viel spannender als den Vergleich mit unseren alten Ichs finde ich den zwischen Theresa und mir. Ihre Behinderung sieht man auf den ersten Blick, meine Krankheit ist hingegen unsichtbar. Ich musste in schlimmen Zeiten bis zu 60 Mal pro Tag aufs Klo und seit meinen OPs darf ich überhaupt nichts heben, tragen oder mich anstrengen. Ich kann nicht einkaufen, staubsaugen oder die Wäsche aus der Waschmaschine tun. Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, merken wir da immer große Unterschiede, wie mit uns umgegangen wird.
Die wenigsten Leute können sich vorstellen, dass wir uns
trotzdem auch mal sexy fühlen.
Cool: Dann gebe ich direkt an Theresa weiter. Wie gehen fremde Menschen im Alltag mit deiner sichtbaren Behinderung um?
Theresa: Ich habe eigentlich vorwiegend positive Erfahrungen gemacht. Wenn man mit mir fünf Worte gewechselt hat, dann merkt man, dass ich geistig voll da bin und dann geht es meistens. Aber natürlich ist es so, dass Fremde anfangs immer eine gewisse Scheu haben und total überfordert sind. Krankheiten und Behinderungen werden zwar in der Gesellschaft schon besser angenommen als früher, aber normal sind sie noch lange nicht.
Cool: Warum ist das eurer Meinung nach so, also dass das nach wie vor Tabuthemen sind?
Ena: Ich glaube, dass die meisten Menschen einfach Angst haben, davor etwas falsch zu machen oder etwas Falsches zu sagen. Außerdem fehlt es vielen auch an Wissen. In meiner Schulzeit wollte beispielsweise niemand mehr neben mir sitzen, weil alle dachten, dass ich ansteckend wäre. Nicht-Betroffene setzen sich damit eben kaum auseinander oder machen sich keine Gedanken darüber, dass wir, abgesehen von unseren Einschränkungen, zwei normale, junge Frauen sind.
Theresa: Wir wollten deshalb auch keine Krankenhausfotos, die zeigen wie schlecht es uns geht, sondern hübsche Bilder, die unsere Behinderungen mit Ästhetik verbinden.
Ena: Die wenigsten Leute können sich vorstellen, dass wir uns trotzdem auch mal sexy fühlen und noch weniger kommen damit klar, dass es Menschen gibt, die uns attraktiv finden. Und wenn, dann ist es eine Sensation. Bei Theresa und mir ist es so, dass unsere Partner immer zu Helden gemacht werden. ‚Oh mein Gott! Dass der das schafft. Wahnsinn, wie er damit umgeht.‘ Ganz viele sind regelrecht schockiert, wenn ich erzähle, dass ich in einer Beziehung bin…
Theresa: …und dann ist meistens die nächste Frage: Und welche Behinderung hat er? Offenbar dürfen nur behinderte Menschen untereinander eine Beziehung haben.
Cool: Und dann folgt wahrscheinlich eine Sex-Frage…
Ena: Genau! Meistens werden wir davor noch gefragt, ob wir Kinder kriegen können. Das sind alles intime Fragen, die würde man einem nicht beeinträchtigten Menschen niemals stellen, wenn man ihn erst seit ein paar Minuten kennt.
Cool: Ihr habt das Thema Mitleid bereits angesprochen. Man hört sehr oft, dass das behinderte oder beeinträchtige Menschen gar nicht leiden können. Wie steht ihr dazu?
Theresa: Mich ärgert das auch immer, weil ich nicht verstehe, warum man mit mir Mitleid haben sollte, nur weil ich im Rollstuhl sitze. Ich sitze, du stehst. Ich habe auch kein Mitleid mit dir, weil du stehen musst. Oder man verkindlicht uns, als wären wir gar keine Frauen oder Männer. Geschlecht: behindert, sozusagen.
Ena: Am schönsten wäre es, wenn man einfach ganz normal mit uns umgehen würde.

Das ist „Tabulos“
„Aber natürlich ist es so, dass Fremde anfangs immer eine gewisse Scheu haben“, sagt Theresa im Interview. Ich war mit ziemlicher Sicherheit genauso, als ich Theresa vor knapp eineinhalb Jahren über meine Freundin kennenlernte. Als uns Theresa im Sommer zu ihrer Fotoausstellung „Unsichtbar“ auf die Grazer Murinsel einlud, war klar: Da gehen wir hin. Und als ich neben einem der Fotos das Kühn-Görg-Zitat „Wer Tabus bricht, bricht aus, bricht Regeln auf, um zu neuen Ufern aufzubrechen“ las, war klar: Ich werde mit Ena und Theresa ein „Tabulos“-Interview machen. Viele ihrer Aussagen haben mir zu denken gegeben und mich überrascht, ich hoffe, euch auch. (Daniel Gräbner)