© Adobe Stock

Was ist Sex?

Wie hat sich die Sexualität in den vergangenen Jahrzehnten verändert und wie sexuell ist die heutige Jugend wirklich? Wo fehlt es an Aufklärung und was ist Sex eigentlich? Wir haben Mag. Wolfgang Kostenwein, Psychologische Leitung des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik, zum zweiteiligen „Tabulos“-Interview gebeten.

Wie hat sich die Sexualität in den vergangenen Jahrzehnten verändert und wie sexuell ist die heutige Jugend wirklich? Wo fehlt es an Aufklärung und was ist Sex eigentlich? Wir haben Mag. Wolfgang Kostenwein, Psychologische Leitung des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik, zum zweiteiligen „Tabulos“-Interview gebeten.

 

Cool: Wie hat sich die Jugendsexualität in den letzten Jahren verändert?

Mag. Wolfgang Kostenwein: Ganz grundlegend beantwortet: Gar nicht. Jugendliche waren schon früher und sind auch heute noch an Dingen interessiert, die sie bewegen und dazu zählt auch der Sex – verbunden mit einer großen Portion Neugierde. Daran hat sich nichts geändert. Eine Veränderung gibt es lediglich bei den Möglichkeiten diesem Interesse nachzukommen – sei es, sich wirklich auf Aufklärungsplattformen zu informieren, Begriffe zu googeln, Pornos zu schauen oder auch in Sachen Kontaktaufnahme. Hier hat das Internet in den vergangenen zwanzig Jahren vieles verändert. Was sich nicht geändert hat, auch wenn das Erwachsene immer erwarten, ist das Durchschnittsalter des ersten heterosexuellen Geschlechtsverkehrs. Das liegt immer noch zwischen 16 und 17 Jahren und ist seit über dreißig Jahren konstant.

Cool: Medial hört man allerdings immer, die heutige Jugend wäre frühreif und hypersexualisiert. Was ist da dran?

Mag. Wolfgang Kostenwein: Gar nichts (lacht). Das alles hat vor hundert Jahren auch schon die Oma über ihre Enkelkinder gesagt. Der Sexualtrieb ist etwas ganz Natürliches und gehört nicht nur zur Pubertät, sondern zum Leben dazu. Klar, werden heutzutage mehr Pornos geschaut, aber das liegt einzig und allein daran, dass man nicht mehr in einen verruchten Videoladen gehen muss, um sich peinlicherweise eine Kassette auszuborgen. Die Zugänglichkeit ist eine andere, aber hätte es die heutigen Möglichkeiten schon damals gegeben, dann hätten der Opa und die Oma auch Pornos geschaut. Das hat also nichts mit einer Veränderung oder Zunahme des sexuellen Interesses zu tun.

Cool: Durch diese Möglichkeiten klären sich die meisten Jugendlichen selbst auf, das war auch in meiner Pubertät schon so. Ist das denn ausreichend oder bräuchten wir eine bessere Aufklärung?

Mag. Wolfgang Kostenwein: Keine bessere, sondern schlichtweg eine andere. Es wäre sehr wichtig, dass Jugendliche mit Erwachsenen über Sex reden, aber alles worüber geredet wird, sind Krankheiten wie AIDS und Verhütung. Keine Frage, auch das sind wichtige Themen, aber viel wichtiger wäre eine Aufklärung über Sexualität und die eigene Lust. Deswegen schauen viele Jugendliche ja Pornos, nicht nur zur Erregung, sondern auch zur Information, weil sich die Burschen und Mädels vorrangig für Sex interessieren – das Schöne, das Geile am Sex und nicht nur für die negativen Aspekte wie Krankheiten, nur darüber spricht mit ihnen niemand.

Cool: Die Frage ist nur, ob die Jugendlichen mit ihren Eltern denn über so etwas sprechen möchten?

Mag. Wolfgang Kostenwein: Mit den Eltern natürlich nicht (lacht), die sind ihnen total peinlich, was das betrifft. Mit den Eltern will man weder darüber reden, noch etwas von ihnen wissen. Es ist schlimm genug, dass sie mindestens einmal Sex gehabt haben müssen, als man gezeugt wurde und vielleicht zwei-, dreimal wenn man Geschwister hat (lacht). Mama und Papa sind da definitiv die falschen Ansprechpartner und auch die Lehrer sind, aus meiner Sicht, nicht dafür geeignet, mit ihren Schülern über ganz private Dinge, wie Pornos, Selbstbefriedigung und Orgasmus zu sprechen. Deshalb wäre es so wichtig, ausgebildete Sexualpädagogen an die Schulen zu bringen, die die Sprache der Jugendlichen sprechen und die man nach dem Gespräch nicht zwangsläufig wiedersieht. Da könnte man dann in Einzelgesprächen wirklich frei und offen über alles reden, was einen interessiert.

Sex sollte niemals wehtun.

Cool: Im Gegensatz zu früher, braucht es heutzutage keine Gespräche darüber, wie Sex funktioniert. Welche Themen wären stattdessen wichtig?

Mag. Wolfgang Kostenwein: Glaubt mir, das Bienen-Blümchen-Gespräch war schon zu meiner Zeit und auch vor hunderten Jahren nicht notwendig. Aufzuklären wie Menschen Sex haben braucht es nicht, das wissen wir, denn sonst wären wir schon längst ausgestorben. Aber seit die Menschen denken können, entstehen auch Mythen, ein gutes Beispiel: Der Mythos, dass das erste Mal wehtut. Das ist ein Irrglaube, den man eigentlich nicht besprechen müssen sollte. Das erste Mal tut nicht weh, weil da ein Jungfernhäutchen reißt – das übrigens bei der Hälfte aller Mädchen so zurückgebildet ist, dass es gar kein Thema ist – und auch nicht, weil es das erste Mal ist. Ich war auch total schockiert, dass in den Biologie-Schulbüchern steht, dass die Vagina ein dehnbarer Schlauch ist. Mehr Fehlinformation kann es gar nicht geben und dann ist es auch kein Wunder, wenn Mädchen beim ersten Mal glauben, dass ihre Vagina erstmal gedehnt werden muss und es deshalb wehtut.

Cool: Sollte das erste Mal nicht gar nicht wehtun?

Mag. Wolfgang Kostenwein: Sex sollte niemals wehtun. Punkt. Wenn ich Aussagen von Mädchen höre, die sich beim ersten Mal dachten, dass sie die Zähne zusammenbeißen müssen und es danach schon besser werden würde, dann wird mir ganz anders. Bloß nicht! Man entwickelt dann schnell eine Sexualstörung, verbindet Sex immer mit Schmerzen und hat daran keinen Spaß mehr und das wäre jammerschade. Junge Frauen sollen wissen, dass es nur dann wehtut, wenn ihr Körper nicht aufnahmebereit ist und das ist beim ersten Mal aufgrund von Aufregung und Nervosität öfter der Fall. Aber auch ein Mädchen muss erst erregt sein, genau wie ein Junge einen erigierten Penis braucht, damit es funktioniert. Die Beckenbodenmuskulatur der Frau muss sich öffnen und die Vagina feucht sein, ansonsten kann der schönste Penis kommen und das Eindringen wird wehtun. Das sagt ihnen keiner, dafür aber, dass Sex krank macht.

Cool: Ich habe in der heutigen Zeit dennoch das Gefühl, dass gewisse Dinge, wie Analsex, als normal gelten, obwohl das früher nicht so war.

Mag. Wolfgang Kostenwein: Das liegt natürlich an den Pornos, weil dort Analsex als etwas Gleichwertiges zu Vaginalsex dargestellt wird. Ich habe aber mit dem Begriff „normal“ ein Problem, denn was ist schon normal? Ist es normal, weil es die meisten machen oder ist etwas nicht normal, auch wenn es Lust bereitet? Was ist überhaupt Sex? Ich würde es daher anders formulieren. Sex ist alles, das allen Beteiligten in der Situation gerade Lust bereitet. Ein und dieselbe Handlung kann für den einen lustvoll sein und für den anderen nicht. Natürlich kann Analsex etwas Lustvolles sein, aber, und das ist ganz häufig so, er kann auch als unangenehm empfunden werden und das muss man respektieren. Wenn Analsex weh tut, dann ist es gar kein Sex, weil es einem der Beteiligten keine Lust bereitet. Es wäre respektlos, zu bewerten, ob etwas „okay“ oder „normal“ ist. Alles was wir sagen können ist: Egal, was ihr macht, wenn es für alle Beteiligten lustvoll ist, dann ist es Sex. Ich habe beispielsweise ein Paar in meiner Therapie, das hat jeden Freitagabend Sex, egal, ob sie beide Lust haben oder nicht und ich habe den zwei gesagt: Das ist okay und ihr könnt das auch machen und nennen wie ihr wollt, aber Sex ist das definitiv nicht!

© Lizz Sator/Prontolux

Das ist „Tabulos“
Ich frage mich schon Seit Jahren, ob ihr unsere Aufklärungsseiten lest, weil ihr wirklich wissen möchtet, wie ein Blowjob funktioniert oder ob ihr das schon längst wisst und ihr euch einfach lustig darüber macht, wie es Kathi euch erklärt. Ich bin im Vorjahr mal mit der Bim nachhause gefahren und habe zufälligerweise drei zwölfjährige Mädels belauscht #unintentionalcreep. „Mit Manuel hatte ich schon was, Patrick war auch okay und Adrian ist echt süß, aber der steht nur auf Analsex.“ Ich war schockiert oder zumindest überrascht und genau deshalb wollte ich unbedingt mal ein „Tabulos“-Interview mit einem Sexualtherapeuten oder Sexualpädagogen machen, um da mal genauer nachfragen zu können. Danke an Wolfgang Kostenwein, Teil zwei wird auch richtig interessant… (Daniel Gräbner)