© Fotolia

„Jetzt ist es soweit, ich küsse einen Mann“

Outing, erster Kuss & Co. Wir haben den 26-jährigen Grazer Thomas W. zum ausführlichen „Tabulos“-Interview gebeten und mit ihm über seine persönlichen Erfahrungen als junger schwuler Mann gesprochen.

Outing, erster Kuss & Co. Wir haben den 26-jährigen Grazer Thomas W. zum ausführlichen „Tabulos“-Interview gebeten und mit ihm über seine persönlichen Erfahrungen als junger schwuler Mann gesprochen.

 

Cool: Es ist zwar eine Standardeinstiegsfrage, aber wann hast du bemerkt, dass du schwul bist?

Thomas: Also ich habe gemerkt, dass ich nicht hetero bin als ich elf war. Ich habe mit den Begriffen „hetero“ und „homo“ damals zwar noch nicht wirklich etwas anfangen können und „schwul“ ist in der Schule halt vorwiegend als Schimpfwort durchs Klassenzimmer geflogen, also wollte ich das auch nicht unbedingt sein. Aber ich hatte damals einen sehr guten Freund, mit dem ich mich oft zum Spielen getroffen habe, und da waren einige Situationen dabei, in denen ich meine Sexualität ein wenig hinterfragt habe. Man denkt in dem Alter aber jetzt nicht so viel darüber nach und die Pubertät ist ja generell eine Phase, in der bei Kindern sehr viel passiert. Dennoch habe ich damals eine Art Vorahnung gehabt.

Cool: Wie ist es dann weitergegangen?

Thomas: Wie bei jedem Jugendlichen kam dann auch bei mir die Phase der ersten Liebe und der ersten Erfahrungen. Ich hatte mit 13 meine erste Freundin, an die ich auch meine Jungfräulichkeit verloren habe. Wir waren sieben bis acht Monate zusammen und es gab im Rahmen eines Dreiers mit ihrem besten schwulen Freund schon ein erstes homoerotisches Erlebnis, obwohl ich das für mich jetzt nie wirklich mitzähle. Ich weiß, das klingt jetzt sehr schräg, aber wir waren einfach jung und haben aus heutiger Sicht zu wenig nachgedacht. Für mich war es jedoch ein einschneidendes Erlebnis, durch das ich selbst einiges infrage gestellt habe. Ich hatte zwar danach trotzdem noch zwei Beziehungen mit Mädels, habe aber in dieser Zeit immer intensiver darüber nachgedacht. Beispielsweise sind auch in meinen Träumen immer weniger Mädels und mehr Burschen aufgetaucht und da wurde es mir dann zunehmend klarer. Das war aber vor allem in meinem Kopf ein mehrjähriger Prozess. Mit 16 hatte ich dann meinen ersten Freund.

Cool: Wie hast du ihn kennengelernt?

Thomas: Damals ist das „Pumpen gehen“ gerade in Mode gekommen und natürlich bin auch ich ins Gym gegangen (lacht). Ich war irgendwann in Graz einmal alleine trainieren und ein Fitnesstrainer ist ständig zu mir hergekommen und wollte mir Übungen zeigen, aber da sind bei mir die Signalleuchten zunächst noch nicht angegangen (lacht). Unter der Dusche ist er aber plötzlich auch aufgetaucht und da habe ich es gecheckt. Ich bin dann mit ihm noch etwas trinken gegangen und nach mehrmaligem Treffen sind wir zusammengekommen.

Cool: Weil du das mit dem „nicht gecheckt“ erzählt hast. Ist es am Anfang nicht sehr schwierig als homosexueller Jugendlicher jemanden kennenzulernen beziehungsweise auch zu erkennen, ob jemand schwul ist?

Thomas: Es gibt natürlich einschlägige Lokale und Partys, mittlerweile auch Apps und damals noch Internetforen wie die Seite gayboy.at. Wenn du ganz neu bist, helfen in Graz beispielsweise auch die RosaLila PantherInnen dabei Gleichgesinnte einfach so, ohne Date-Charakter kennenzulernen. Aber du hast durchaus Recht, es ist zu Beginn nicht so einfach, aber man bekommt mit der Zeit ein Radar dafür. Ich kann mich heute in Graz auf den Jakominiplatz stellen und kann dir mit 90-prozentiger Sicherheit sagen, wer schwul ist und wer nicht. Generell ist es als homosexueller Mann sehr leicht Sexualpartner zu finden. Liebe und eine Beziehung zu finden ist da schon schwieriger. Selbst als Hetero ist das ja nicht so leicht und bei Schwulen ist der Pool noch viel kleiner. Vor allem am Land, da gibt es gerade einmal eine Handvoll zur Auswahl – darum zieht es viele Schwule auch in die Großstädte.

Ich hatte bis heute nie das Gefühl, von irgendjemanden eine Bestätigung dafür bekommen zu müssen, dass es okay ist, schwul zu sein

Cool: Schwul ist ja auch nicht gleich schwul…

Thomas: Absolut. Es gibt da total viele Unterschiede und Vorlieben. Es gibt beispielsweise Männer, die mit dem eher femininen Klischee-Schwulen nichts anfangen können, weil sie sagen: „Ich stehe auf Männer und will deshalb auch einen richtigen Mann.“ Da gibt es wirklich sehr große Unterschiede. Was ich noch sehr lustig finde, ist, dass in der Szene Männer gerne mit Tieren verglichen werden. Schlank mit Bart ist zum Beispiel ein Otter. Trainiert mit Bart ist ein Wolf, groß und schlaksig ist eine Giraffe. Es gibt aber auch Bezeichnungen ohne Tierbezug, beispielsweise ist ein schlanker Mann ohne Behaarung ein Twink.

Cool: Lass uns zurück zu deiner Geschichte kommen. Wie hast du dich geoutet beziehungsweise wie bist du in deiner Schulzeit damit umgegangen?

Thomas: Ich kannte bei mir in der Schule noch zwei weitere Schwule, aber vor allem einer davon war halt sehr „flamboyant“ und mit dem wollte ich dann auch nicht unbedingt viel zu tun haben. Meine Verhaltensweise war damals eher: Im Untergrund bleiben und bloß nicht auffallen! Man hat ja mitbekommen, wer eher gemobbt wurde und das wollte ich natürlich auch nicht. Mein Outing war hingegen recht unspektakulär, das war ein schleichender Übergang. Ich habe es damals meiner Mama und meiner Schwester erzählt und deren Antwort war so: „Okay, naja, das ändert für uns jetzt auch nichts.“ Kurzzeitig war ich sogar fast ein wenig „enttäuscht“ (lacht). Ich habe aber in dem Moment auch gemerkt, dass ich dieses „befreiende Outing“ gar nicht brauche, weil ich wusste, dass ich mich auf meine Familie verlassen kann. Ich hatte bis heute nie das Gefühl, von irgendjemanden eine Bestätigung dafür bekommen zu müssen, dass es okay ist, schwul zu sein, weil ich nun mal einfach schwul bin.

Cool: Wie war es mit deinem Vater? Man sagt ja, dass es da eher Probleme gibt…

Thomas: Es gab einmal eine ganz witzige Situation als wir gemeinsam Ferngesehen haben. Der Nachrichtensprecher hatte einen recht enggeschnittenen, grellen Anzug an und mein Papa meinte so: „Furchtbar, der schaut vielleicht schwul aus.“ Meine Schwester ist ihn sofort angesprungen, weil sie dachte, dass ich mich dadurch angegriffen fühlte, aber das war nicht der Fall. Ich hatte mit meinem Papa allerdings nie ein Outing-Gespräch, weiß aber, dass er es weiß, weil er mich bei einer Autofahrt mal gefragt hat, ob ich einen Freund habe.

Cool: Was mich abschließend noch interessieren würde, weil du ja anfangs auch mit Mädchen etwas hattest. Hat sich dein erster schwuler Kuss oder Sex „richtiger“ angefühlt?

Thomas: Der erste Kuss war mit meinem ersten Freund. Es war schön, aber „richtiger“ würde ich jetzt nicht sagen. Ich habe mir in dem Moment aber schon gedacht: Oh mein Gott, jetzt ist es soweit, ich küsse einen Mann. Es hat sich aber gut angefühlt und ich habe währenddessen natürlich nicht viel nachgedacht. Das erste öffentliche Händchenhalten mit einem Mann war hingegen etwas eigenartig und der erste passive Sex auch. Aktiv ist Analverkehr mit einem Typen nicht so viel anders als mit einer Frau, außer dass er unter Umständen etwas haariger und breiter gebaut ist. Passiv ist anfänglich schon… naja. Du kannst dich darüber noch so gut informieren, aber wirklich darauf vorbereitet ist man nie. Vor allem wenn man davor schon Sex mit Frauen hatte, ist es komisch plötzlich den passiveren Part zu übernehmen. Aber es wird… (lacht)

© Oliver Wolf

Das ist „Tabulos“
Das Thema war eine meiner ersten Ideen für die „Tabulos“-Reihe, denn gerade Homosexualität wird leider noch immer viel zu häufig tabuisiert oder belächelt. Das liegt meiner Meinung daran, weil sich viele damit entweder gar nicht beschäftigen wollen oder ihnen der Bezug fehlt und sie deshalb Vorurteile haben. Ich kannte auch lange Zeit keine Schwule und erst Thomas – der Bruder einer sehr guten Freundin – hat mir in den letzten Jahren beim gemeinsamen Fortgehen die unterbewusste Scheu genommen. Es war deshalb auch für mich klar, dass ich dieses „Interview“ mit ihm machen werde. Vielleicht interessiert, betrifft oder hilft es euch. Ich hoffe nur, ihr lest es. Danke auch an Thomas, der sich über zwei Stunden für mich Zeit genommen hat. (Daniel Gräbner)