Wenn es um Sex geht, gibt es bei der heutigen Jugend kaum noch Tabus, über Menstruation will hingegen niemand sprechen. Wir haben deshalb genau das getan und Bettina Steinbrugger, Mitgründerin von erdbeerwoche.com und „Ready For Red“, zum Interview gebeten.
Cool: Wie kann es sein, dass selbst im Jahr 2019 etwas völlig Natürliches wie die Menstruation ein Tabuthema ist?
Bettina Steinbrugger: Das ist eine gute Frage. Eine große Rolle spielt sicher die Werbung, die über Jahrzehnte versucht hat, die Menstruation als etwas Unreines, Ekliges darzustellen beziehungsweise zu tabuisieren. In den Binden-Werbungen wird immer blaue Flüssigkeit verwendet, aber keine Frau menstruiert blau. Wir sind es dadurch einfach nicht gewohnt Menstruationsblut so zu sehen, wie es ist, nämlich rot. Im Rahmen unseres Schulprojekts „Ready For Red“ lassen wir die Mädchen und Jungs beispielsweise raten, wie viel Blut eine Frau in einer Periode verliert und haben dafür Erdbeersaft in verschieden große Gläser gefüllt. Und da hören wir ganz oft: ‚Wäh, ist das grauslich!‘ Die heutige Jugend ist es zwar gewöhnt, dass in blutrünstigen Actionfilmen das Blut durch die Gegend spritzt, aber wenn es aus diesem einen Körperteil der Frau kommt, findet jeder schon die Vorstellung ekelig. Bei den Mädels kommt dann noch das Gefühl der Scham dazu, es ist ihnen peinlich und sie fühlen sich schmutzig, was aber total unbegründet ist. Es ist eigentlich das Natürlichste auf der Welt. Es passiert jeder Frau einmal im Monat, die Hälfte der Weltbevölkerung menstruiert und deshalb ist es nichts, das wir tabuisieren, verschweigen oder in ein Ekel-Eck ziehen sollten.
Cool: Speziell Jungs fehlt es vermutlich an Wissen oder?
Bettina: Jein, das würde ich gar nicht so sagen. Wir sehen Defizite bei beiden Geschlechtern und richten uns mit „Ready For Red“ deshalb bewusst an Mädchen und Jungs, weil wir es wichtig finden, dass auch Burschen darüber Bescheid wissen, was da im Bauch der Frau passiert. Immerhin ist das auch der Grund warum wir Menschen überhaupt existieren, deshalb sollten sich auch beide Geschlechter damit beschäftigen. Menstruation ist auch Männersache. Jeder Mann hat in seinem Umfeld auch Frauen, sei es die Partnerin, die Mutter, die Schwester oder Freundinnen. Dadurch wird er im Laufe seines Lebens zwangsläufig mit diesem Thema konfrontiert.
Cool: Vor dreißig, vierzig Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass sich Männer mit Menstruation beschäftigen…
Bettina: Im Vergleich zu früher hat sich schon sehr viel getan. Wir sind mit erdbeerwoche bereits seit 2011 aktiv und bemüht das Menstruationstabu zu brechen und haben in den Jahren eine sehr positive Veränderung bemerkt. Aber wir sind noch lange nicht dort, wo wir hin wollen. Vor allem bei Jugendlichen ist nach wie vor Aufklärungsarbeit nötig. Gerade in der Phase, in der Mädchen ihre erste Periode bekommen, kann sehr viel passieren. Wenn sich die Mädels dafür schämen oder Jungs sie verspotten, dann gibt es negative Gefühle, die komplett unnötig sind. Deshalb ist es eben wichtig, dass sich beide Geschlechter damit befassen „müssen“ und auf beiden Seiten ein Verständnis entsteht.
Cool: Apropos verspotten: Gerade Jungs ziehen das Thema noch immer gerne ins Lächerliche. Es gibt beispielsweise von KC Rebell und Summer Cem auch einen Song namens „Erdbeerwoche“. Was hältst du davon?
Bettina: Davon sind wir natürlich nicht begeistert. Wir kennen das Lied und es ist nur einer von vielen sexistischen Hip-Hop-Songs beziehungsweise gibt es auch andere Musikrichtungen mit Songs, in denen Frauen degradiert und in ihrem Frausein herabgewürdigt werden. Bei „Erdbeerwoche“ waren wir weniger über die Namensgleichheit überrascht, sondern viel mehr vom Inhalt schockiert. Wir konnten und wollten das nicht so stehen lassen und haben damals das Kabaretttrio Vaginas im Dirndl kontaktiert, die dann eine feministische Antwort auf den Song produziert haben. Auf YouTube gibt‘s dazu auch ein wirklich cooles Musikvideo.
Manche haben geantwortet, Menstruation die weibliche Selbstbefriedung sei.
Cool: Das andere Extrem sind die vielen „Menstruationskünstlerinnen“ auf Instagram. Ist sowas denn nötig?
Bettina: Jede Bewegung hat auch einen etwas radikaleren Teil und da hat sich in den letzten Jahren weltweit ein richtiges „Menstrual Movement“ formiert, das versucht „Period Positivity“ zu vermitteln. Natürlich mögen diese Bilder nicht jedem gefallen, aber das Ziel dieser Fotos ist es eben wachzurütteln und auf diese unnötige Tabuisierung aufmerksam zu machen und das funktioniert halt leichter mit schockierenden Fotos als mit Blümchenbildern. Wir gehen aber dennoch einen anderen Weg und wollen lieber aufzeigen, dass es etwas Natürliches ist, für das sich keine Frau oder kein Mädchen schämen muss.
Cool: Für mich persönlich ist das Thema so normal, dass ich immer wieder überrascht bin, dass es so viel Menstruations-Aktivismus gibt. Es gab ja auch vor kurzem erst die Diskussion über ein Menstruations-Emoji…
Bettina: Das ist sehr lobenswert von dir (lacht), aber leider gibt es noch immer sehr viele Menschen, die nicht so denken wie du und ich. Speziell im Social-Media-Bereich gibt es da noch Aufholbedarf. Beispielsweise wurde im Vorjahr ein Foto von einer angezogenen Frau, auf deren Unterhose ein kleiner Blutfleck zu sehen war, von Instagram entfernt. Das hat für einen ziemlichen Aufschrei gesorgt, weil im Netz so viel toleriert wird und etwas Normales wie Menstruation eben nicht.
Cool: Wie und warum habt ihr „Ready For Red“ gestartet?
Bettina: Die digitale Lernplattform haben wir 2017 ins Leben gerufen und zwar genau aus den Gründen, die wir gerade schon besprochen haben. Wir haben damals eine Umfrage unter tausend Jugendlichen gemacht, weil wir wissen wollten, wie der Wissensstand und die Einstellung zum Thema Menstruation ist und die Ergebnisse haben uns dann letztendlich dazu bewogen, dieses große Schulprojekt zu starten. 60 Prozent der Mädchen hatten eine negative Einstellung zu ihrer Periode, 70 Prozent der Burschen fanden das Thema unwichtig und peinlich und der Wissensstand war auch katastrophal. Mehr als die Hälfte der Mädchen kann mit Begriffen wie Zyklus oder Zykluslänge nichts anfangen, jedes zweite Mädchen weiß nicht wann ein Tampon gewechselt werden muss. Es fehlt da also an Basiswissen, das weder von der Schule noch von den Eltern adäquat vermittelt wird. Da die heutige Jugend viel am Smartphone macht und sich im Internet informiert – wo es leider auch jede Menge falscher Informationen gibt – haben wir uns eben gedacht, wir machen eine Webseite, die mit spielerischen Tools, Videos und einer Portion Humor aufklärt. Dort könnt ihr euch aktiv und kostenlos informieren!
Cool: Gab es im Rahmen dieser Umfrage auch richtig „blöde“ Aussagen?
Bettina: Blöd ist vielleicht der falsche Ausdruck, denn die Jugendlichen können nix dafür, wenn sie nicht ordentlich informiert werden, aber ja, da waren schon einige Dinge dabei, die mir in Erinnerung geblieben sind. Manche haben geantwortet, dass Menstruation eine Krankheit ist, andere wiederum meinten, dass Mädchen menstruieren bevor sie schwanger werden und einige haben uns sogar „erklärt“, dass Menstruation die weibliche Selbstbefriedung sei.
Cool: Müsste man solche Dinge nicht in der Schule lernen? Was würdest du dir für die Zukunft wünschen?
Bettina: Der Aufklärungsunterricht in der Schule müsste einfach alltagsnäher sein. Der weibliche Zyklus wird da oft nur sehr wissenschaftlich und theoretisch erklärt und that’s it. Wenn das zwölfjährige Mädchen dann plötzlich ihre erste Periode bekommt, ist sie mit der Situation aber trotzdem überfordert, weil ihr das Schulwissen in der Realität nicht weiterhilft. Es wäre viel wichtiger, wenn im Unterricht darüber gesprochen werden würde, welche Produkte es gibt, wie man mit Regelschmerzen umgeht oder was Burschen tun können, um beispielsweise ihre Freundin zu unterstützen.

Das ist „Tabulos“
Nach zwei „Tabulos“-Ausgaben voller Alkohol, Drogen und Sucht, wollte ich mal wieder ein etwas anderes Thema. Ich bin dann durch Zufall auf die Seite erdbeerwoche.com gestoßen und fand das Menstruations-Thema sofort interessant – schließlich will ich beziehungsweise wollen wir mit „Tabulos“ ja genau Tabuthemen aufgreifen und was passt das besser als eine Sache, die total tabuisiert wird, obwohl es zum Leben einer Frau einfach dazugehört. Kurzzeitig wollte ich das Interview dann eigentlich Kathi abgeben, weil ich es komisch fand, als Typ ein Menstruations-Interview zu machen, aber genau das hat das Gespräch mit Bettina vielleicht noch spannender gemacht. Und wie sie schon sagte: Menstruation ist auch Männersache. (Daniel Gräbner)