In der vorigen Ausgabe haben wir mit Mag. Wolfgang Kostenwein, Psychologische Leitung des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik, bereits über Aufklärung und Sex gesprochen. Im zweiten Teil unseres Interviews widmen wir uns unter anderem Pornos und Leistungsdruck.
Cool: Wie hat sich die Jugendsexualität in den letzten Jahren verändert?
Mag. Wolfgang Kostenwein: Wir haben im ersten Teil unseres Interviews bereits darüber gesprochen, dass das Internet einiges verändert hat und die heutige Jugend mehr Pornos schaut, als die Generationen davor.
Cool: Ist es nicht ein Problem, wenn sich die Jugend zu sehr an Pornos orientiert?
Mag. Wolfgang Kostenwein: Nicht jeder Jugendliche oder auch Erwachsene, der Pornos schaut, will oder hat Sex wie in Pornofilmen, die meisten können das schon differenzieren. Diejenigen, die Pornos als Anleitung nehmen, sind in der Regel Menschen, die sich selbst nicht richtig spüren und keinen guten Bezug zu ihrem eigenen Körper und ihrer Sexualität haben. Wenn man einen guten Zugang zu seiner eigenen Lust hat, dann wird man beim Sex nicht daran denken, wie Pornodarsteller vor der Kamera Sex haben, sondern es so tun, wie man es gerade empfindet, spürt und es einem selbst gefällt.
Cool: Blöder Vergleich, aber so ähnlich wie nicht jeder Spieler von Ego-Shootern gleich ein Amokläufer ist. Normalerweise kann man Realität und Fiktion trennen…
Mag. Wolfgang Kostenwein: Genau, nur dass es beim Sex weniger um die Selbstreflexion geht, sondern darum wie gut man sich selbst spürt. Wenn jemand in seiner eigenen Lust und Geilheit gut zuhause ist, dann wird das in Pornos Gesehene für ihn keine Relevanz haben, weil ihm ganz egal ist wie er gerade dabei aussieht und er voll und ganz in seiner Lust und der seines Partners aufgeht. Wenn man aber keine eigene Lust hat oder sich darin sehr unsicher fühlt, dann bekommen diese Bilder eine Macht.
Cool: Dazu passt meine nächste Frage ganz gut, denn es wird natürlich auch darüber geredet, wie gut jemand im Bett ist. Ist Leistungsdruck ein Problem?
Mag. Wolfgang Kostenwein: Das ist kein neues Thema. Leistungsdruck bei Jungs, weil sie meinen, das Mädchen zum Orgasmus bringen zu müssen und Frauen, die glauben, Dinge tun zu müssen, um gut im Bett zu sein – das gibt es schon lange, ist allerdings ein großer Blödsinn. Ich habe ja schon im ersten Teil erzählt, dass es nur dann Sex ist, wenn beide Beteiligen Lust empfinden. Wenn man nicht das tut, was man selber gerne machen will, sondern das, von dem man glaubt, dass die andere Person glaubt, das man machen soll, dann ist das wieder nicht Sex, sondern komisch. Guter Sex hat nichts mit Penisgröße, Stellungen, Ausdauer oder dem Erreichen des Höhepunkts zu tun, sondern damit, dass beide gerade voll in ihrer Lust sind und diese mit dem anderen teilen. Alles andere ist nicht Sex, sondern Performance.
Wenn man nicht das tut, was man selber gerne machen will, sondern das, von dem man glaubt, dass die andere Person glaubt, das man machen soll, dann ist das nicht Sex, sondern komisch.
Cool: Stichwort Stellungen: Man hat heute ja schon fast das Gefühl, alles ohne Handstand sei prüde… (lacht)
Mag. Wolfgang Kostenwein: … und auch das ist Blödsinn. Die Stellung ist völlig wurscht! Sex soll sich zuallererst gut anfühlen und aus diesem Gefühl ergibt sich die Stellung und nicht umgekehrt. Es ist überhaupt nicht verwerflich und auch nicht prüde, wenn man beim Sex beispielsweise nur zwei unterschiedliche Positionen praktiziert. Wenn es für beide lustvoll ist, reicht auch eine für richtig guten Sex. In vielen verschiedenen Stellungen miteinander zu schlafen, in denen womöglich aber nur einer oder vielleicht sogar keiner wirklich Lust verspürt, die aber cool ausschauen – Stichwort Pornos – ergibt nicht automatisch guten Sex.
Cool: Diese Interviewrubrik heißt ja „Tabulos“. Durch die Pornoindustrie gelten mittlerweile unter Jugendlichen viele Praktiken, wie Analsex, als „normal“. Gibt es überhaupt noch Tabus?
Mag. Wolfgang Kostenwein: Das größte Tabu ist eigentlich noch immer über die eigenen Empfindungen und Gefühle beim Sex zu sprechen. Wie spürt es sich für dich an? Das wird viel eher tabuisiert, als das Äußere oder irgendwelche Praktiken. Ist die heutige Jugend aufgeschlossener? Jein. Man hat früher nicht offen über Blowjobs gesprochen, also ja, Blasen ist heutzutage kein Tabu mehr, aber es ist auch nicht immer lustvoll begleitet. Manche machen es nur, weil sie glauben, dass es im Programm sein muss und nicht weil es ihre Lust beflügelt. Mit dem Partner darüber zu reden, ob einem Blasen überhaupt gefällt oder zuzugeben, dass man etwas vielleicht gar nicht geil findet, ist auch heute noch tabu. Es scheitert oftmals nicht am Oralsex, sondern an der oralen Kommunikation.
Cool: Fetische sind aber schon auch noch irgendwie tabu oder?
Mag. Wolfgang Kostenwein: Ein Fetisch ist nichts anderes als etwas, zu dem man, meist schon in der Kindheit, einen sexuellen Bezug entwickelt. Das kann ein Ereignis, ein Gegenstand oder ein Körperteil sein. Dieses Lustgefühl wird dann im Gehirn gespeichert und kann in weiterer Folge auch im Erwachsenenleben eine Bedeutung bei der Erregung haben. Ist diese Lust sehr ausgeprägt und steht im Vordergrund, dann spricht man von einem Fetisch, allerdings würde ich das nicht als Tabu ansehen. Es steht uns nicht zu, sexuelle Handlungen zu bewerten, wenn beide Beteiligten daran Lust und Spaß empfinden.
Cool: Wenn sich Fetische oft schon in der Kindheit bilden, wie kann es da denn beispielsweise passieren, dass man einen Fußfetisch entwickelt?
Mag. Wolfgang Kostenwein: Das ist schwierig zu erklären, aber es kann sein, dass man als Kind eine Empfindung mit einem Fuß hat und parallel dazu – oft nur zufällig – auch ein Erregungsgefühl verspürt. Dieses Gefühl, das den Erregungsreflex auslöst, wird dann mit dem Thema Fuß gekoppelt und kann sich festigen. Das kann dann dafür sorgen, dass jemand – was andere vielleicht als eigenartig empfinden – schon beim Anblick von Füßen größte Erregung empfindet. In der Wissenschaft nenn man das Anziehungscode, davon haben wir Menschen ganz viele. Die einen haben den Anziehungscode weibliches Geschlecht, andere fühlen sich zu Männern hingezogen. Viele finden die Brüste einer Frau erregend, manche finden Sex im Freien erregend, weil sie die Aufregung brauchen. Auf allen Sinnesebenen kann es Dinge geben, die in die Erregung führen. Die meisten Menschen haben jedoch so viele Anziehungscodes, dass es kein Problem für sie ist, in die Erregung zu kommen. Wenn man allerdings nicht viele hat und diese spezieller sind, wie eben zum Beispiel Füße, dann wäre das ein Fußfetisch.

Das ist „Tabulos“
Nach der vorigen Ausgabe haben wir von einigen Erwachsenen prompt das Feedback bekommen, dass wir zu viel Sex im COOL hätten. Ich vermute mal, dass damit auch der erste Teil dieses Interviews gemeint war und ich vermute auch, dass diese Personen das Interview selbst gar nicht gelesen haben – ansonsten hätten sie sich wahrscheinlich nicht beschwert, sondern uns gratuliert. Keine Sorge, ich brauche kein Lob und keine Bestätigung, denn ich feiere dieses Interview dermaßen, dass jegliche Kritik ohnehin an mir abprallt. Sex ist allgegenwärtig und ein wichtiges Thema, über das zu selten so direkt gesprochen wird, wie es Mag. Wolfgang Kostenwein mit mir getan hat. 1000x besser und ehrlicher als Aufklärungsunterricht, Pornos und das Blabla eurer Freunde zusammen! (Daniel Gräbner)