© Acacia Evans | Text: Leo Kulidjanov

GAYLE: American Dream 2.0

Die Single „abcdefu” hat Gayle Rutherfurd über Nacht zur international gehypten Newcomerin gemacht: Der virale Song, der damals erst 17-Jährigen, wurde ein weltweiter Hit. Diesen Sommer tourte sie als Support-Act von P!nk durch Europa. Vor ihrem Gig im Ernst-Happel-Stadion hatten wir die Gelegenheit für ein ausführliches Interview.

Die Single „abcdefu” hat Gayle Rutherfurd über Nacht zur international gehypten Newcomerin gemacht: Der virale Song, der damals erst 17-Jährigen, wurde ein weltweiter Hit. Diesen Sommer tourte sie als Support-Act von P!nk durch Europa. Vor ihrem Gig im Ernst-Happel-Stadion hatten wir die Gelegenheit für ein ausführliches Interview.

 

Cool: Starten wir mit einer Frage, die unser Magazin immer wieder jenen Promis stellt, die aus Übersee anreisen: Was gefällt dir am meisten, wenn du in Europa unterwegs bist?

Gayle: Ich mag es vor allem, neue Dinge zu erkunden! Da hab ich überhaupt kein Schubladendenken, sondern mache mir immer selbst ein Bild. Zum Beispiel stehe ich voll darauf neues Essen zu probieren und neue Leute kennenzulernen. Es ist so aufregend, um die Welt zu reisen, und wenn man bedenkt, das alles nur wegen der Musik. Das ist für mich die größte Ehre. Es gibt wirklich nichts, wofür ich dankbarer bin, als für das! (lächelt)

Cool: Hattest du Gelegenheit dazu, auch in Wien etwas Sightseeing zu machen?

Gayle: Vor dem Tourstopp in Wien sind wir in Belgien aufgetreten, dort konnte ich mich tatsächlich ein bisschen umschauen. Gestern kamen wir allerdings erst wenige Stunden vor der ersten Show an. Von daher, hab ich leider nicht sonderlich viel von Wien gesehen, aber ich hoffe, ich kann es beim nächsten Besuch nachholen.

Cool: Du bist im Großraum Dallas, Texas, geboren und aufgewachsen. Wie würdest du deine Heimat beschreiben?

Gayle: Also, Texas ist weit mehr als nur die Prärie, Kaktusse und Cowboys (lacht). Texaner sind grundsätzlich sehr höfliche und freundliche Menschen, und in einer Großstadt wie Dallas ist alles sehr groß, laut und glitzernd. Gleichzeitig gibt’s aber auch diese spießigen Scheuklappen, was ich nicht sonderlich mag. Ich erinnere mich zum Beispiel, an der High School trug ich mal ein Oberteil mit offenen Schultern und manche sagten zu mir: „Hey, das kannst du nicht in der Öffentlichkeit tragen!” Dennoch ist Texas ein sehr einladender Ort, da unter den Menschen ein tolles Gemeinschaftsgefühl herrscht. Man könnte sagen, dass es genau das Gegenteil von New York ist, wo die meisten sich nur um ihren eigenen Kram kümmern.

Cool: Vor zwei Jahren wurde Texas zum Schauplatz eines bundesweiten Rechtsstreits. Am Ende musste der Oberste Gerichtshof der USA eine Entscheidung fällen, und daraufhin wurde Abtreibung nicht nur in Texas, sondern in zwölf weiteren Bundesstaaten ausnahmslos verboten. Wie stehst du zu diesem heiklen Thema?

Gayle: Oh mein Gott! (bricht in Tränen aus) …es ist so herzzerreißend, mitansehen zu müssen, wie Frauen ihre Rechte genommen werden!!

Cool: Hey Gayle, tut mir echt leid! … Ich hatte ja keine Ahnung, dass dich dieses Thema so aus dem Konzept bringt. Lass uns am besten die Frage skippen!

Gayle: (kämpft mit Tränen) Nein, nein, es ist wichtig, dass wir darüber reden, denn dieses Thema liegt mir sehr am Herzen! Ich meine, es gibt so viele Amerikanerinnen, die aufgrund der neuen Gesetzgebung sterben!! Und es ist schlichtweg peinlich, dass unser Land das tut. Es betrifft unsere Jugend und unsere Gesellschaft als solche. Es ist verdammt herzzerreißend, denn weder ich noch sonst jemand kann etwas dagegen tun! Aus meiner Sicht hat unser Oberster Gerichtshof einen Riesenfehler gemacht, indem er Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht entzogen hat! Oh Mann, es ist einfach nur schrecklich!

Niemand konnte voraussehen, was der Song „abcdefu“ bewirken wird.

Cool: Nächstes Jahr steht bei euch die Präsidentschaftswahl an – kann man davon ausgehen, dass du für die Demokraten stimmen wirst?

Gayle: Aber klar doch! Ich will einen Präsidenten, der sich für Veränderungen einsetzt und sich mit realen Problemen auseinandersetzt, die unser Land tagtäglich betreffen. Ich meine, selbst ich als Person des öffentlichen Lebens kann an der aktuellen Situation nicht viel ändern, außer mit meiner Mucke ein Statement zu setzen. Von daher bräuchte es einen wirklich starken Präsidenten oder eine Präsidentin.

Cool: Letztes Jahr hast du drei EPs veröffentlicht – und ich gehe davon aus, dass dein Album derzeit in der Mache ist. Was kannst du uns diesbezüglich erzählen?

Gayle: Ich hatte eigentlich geplant, mein Album dieses Jahr zu veröffentlichen, aber dann haben sich spontan so tolle Tourmöglichkeiten ergeben. Sagen wir mal so: Bis dahin konnte ich ja nur davon träumen, in Stadien aufzutreten (lacht) … noch dazu als Support-Act für Stars, die meine Vorbilder sind! Abgesehen davon bin ich eine echte Perfektionistin, deshalb habe ich beschlossen, mich erstmal aufs Livespielen zu konzentrieren. Aber ich bin zuversichtlich, dass mein Album irgendwann nächstes Jahr erscheinen wird! In puncto Stil und Inhalt möchte ich mit einer Vielzahl von Producern zusammenarbeiten, von denen einige tatsächlich aus der Rap-Szene kommen. Ja, und hoffentlich werden wir einen Track aufnehmen, so wie seinerzeit Christina Aguilera mit DJ Premier.

Cool: Du hast nicht nur dein Album verschoben, sondern auch deine „Avoiding College“-Tour in den Staaten. Hast du nicht manchmal das Gefühl ,dass du eine wirklich coole Erfahrung verpasst, da du nicht aufs College gehst?

Gayle: (lacht) Nun, ich war 17 als die meisten meiner Freunde aufs College gingen – das war kurz vor dem Durchbruch mit „abcdefu“. Ich hab aber sogar einen Song geschrieben, der genau jene Situation thematisiert. Das Konzept dahinter war quasi: Meine Freunde gehen auf’s College und ich bin mir nicht sicher, was mit meinem Leben geschieht. Es war schwer und ich fühlte mich irgendwie abgeschottet von ihnen, weil ich mich eben für die Musik statt fürs College entschieden habe. Das war definitiv eine schwierige Lebensentscheidung. Aber jetzt bin ich auf Tour, freue mich, dass meine Songs im TV und Radio gespielt werden, also denke ich, dass mein Leben schon auf der richtigen Spur läuft. Dennoch habe ich manchmal das Gefühl, von meinen Freunden „entfremdet“ zu sein, weil wir einfach gänzlich verschiedene Lebensstile haben.

Cool: Kann man sagen, dass ein College-Studium dein „Plan B“ ist, falls es mit der Musik nicht klappen sollte?

Gayle: Mein „Plan B“ wäre, eine Kosmetikschule zu besuchen. Ich mache ja meine Haare und Make-up für die Shows selbst und habe das Gefühl, dass ich das gerne für andere Menschen tun würde. Irgendwann in meinem Leben wurde mir klar, dass ich den künstlerischen Ausdruck liebe und ich voll gerne Menschen dabei helfen würde, Dinge auszudrücken, zu denen sie selbst vielleicht nicht in der Lage sind. Wenn man sich beispielsweise einen neuen Haarschnitt verpassen lässt, geht’s nicht immer nur um die Optik – es ist ein Ausdruck dafür, was du tief in deinem Inneren bist. Das Gleiche gilt für Musik, wenn man seine Gefühle ausdrückt. Und genau das habe ich mit meinem Leben vor.

Cool: Wie erklärst du dir den unglaublichen Erfolg von „abcdefu“?

Gayle: Nun, niemand konnte voraussehen, was der Song letztendlich bewirken wird … am allerwenigsten ich selbst! Zuerst konnte ich es voll nicht glauben – weißt du, es war crazy, aber real! Dieser Erfolg war einfach so unerwartet und so überwältigend, zumal ich ja erst 16 war, als ich den Track schrieb. Ach ja, und da wir gerade beim Thema sind: Ich möchte unbedingt erwähnen, dass ich den Song mit meiner besten Freundin geschrieben habe, mit der ich seit meinem 12. Lebensjahr Songtexte schreibe. Ihr gebührt auch die Anerkennung für den Erfolg von „abcdefu“. Und generell bin ich Social Media sehr dankbar, denn nur so gelangte unser Song an Orte, an denen wir beide nie zuvor waren.

Cool: Jetzt bist du mit P!nk auf Tour. Unter welchen Umständen habt ihr euch kennengelernt?

Gayle: Es war tatsächlich an meinem Geburtstag, am 10. Juni, also genau vor drei Wochen. Wir hatten unseren Tourauftakt in England. Ich war auf dem Weg in den Backstagebereich und plötzlich sagte mir einer aus unserer Tour-Crew: „Hey, komm mal kurz mit!“ Also gingen wir in einen Raum und da war dann P!nk mit ihren Kindern, ihren Tänzern und den anderen. Eine andere Person hielt eine Geburtstagstorte in der Hand und alle begannen „Happy Birthday“ für mich zu singen. P!nk gab mir eine große, herzliche Umarmung! Sie sagte, ich sei eine großartige Sängerin und Songwriterin, und war sowas von nett zu mir! Wir hatten ein sehr schönes Gespräch, einen tollen Abend, und so hat alles angefangen.

Cool: Wie würdest du P!nk als Person beschreiben?

Gayle: She’s a badass, she’s a rockstar und gleichzeitig eine liebevolle, fürsorgliche Person! Ich meine, jetzt auf Tour kümmert sich wirklich um jeden Einzelnen von uns, sie mag es richtig, uns alle „zu bemuttern“ (lächelt). Ich bewundere sie sehr, da sie eine starke Frau mit einer unglaublichen Karriere ist, die gleichzeitig aber auch immer für ihre Kinder da ist. P!nk hat ‘ne großartige Persönlichkeit!

Cool: Was sind die Nachteile eines Lebens als Promi?

Gayle: Herrje, ich sehe mich gar nicht als Promi! (lacht) Ich meine, die Öffentlichkeit bewundert einen zwar und gerade der Social-Media-Aspekt ist in unserer Zeit sehr wichtig geworden. Es gibt definitiv Momente, in denen das Showbusiness eine sehr coole und spannende Sache sein kann, aber manchmal kann es auch zerstörerisch, neidisch und einfach nur gemein sein! Insofern kann es für jede Person des öffentlichen Lebens schwierig werden, mit alldem klarzukommen.

Cool: Wo siehst du dich in etwa fünf Jahren?

Gayle: Was ich mir wünsche, ist, auf meiner eigenen Tour die Welt zu bereisen und dabei in Arenen und Stadien aufzutreten. Zu diesem Zeitpunkt werde ich hoffentlich schon zwei oder drei Alben releast haben. Dann möchte ich ein paar Collabos in Richtung Rap machen … mit Kendrick Lamar würde ich zum Beispiel liebend gern zusammenarbeiten! Und natürlich möchte ich weiterhin als Songwriterin tätig sein. Ach ja, Mode ist auch etwas, das mich interessiert – vielleicht gründe ich sogar meine eigene Modemarke oder so. Zu guter Letzt stehen auch einige Wohltätigkeitsprojekte auf meiner To-Do-Liste. Ich werde also in den kommenden Jahren noch ziemlich viel zu tun haben (lächelt).